Bürokratie konkret: Ein Tiefbauunternehmen berichtet

Handwerksbetriebe fühlen sich von der Bürokratie massiv beeinträchtigt. Wie sie bei der alltäglichen Arbeit ganz konkret von Formularen, Dokumentationspflichten etc. ausgebremst werden, beschreiben Dipl.-Ing. Enno Bolling und Dipl.-Ing Torben Rathje vom Bremer Bauunternehmen Bockmeyer GmbH für HiBB anhand einer Tiefbaumaßnahme, wie sie so oder ganz ähnlich täglich überall in Deutschland vorkommen kann. Als Beispiele haben sie die Reparatur eines Lecks in einer Versorgungsleitung und eine Leitungserneuerung gewählt, vom Auftragseingang bis zur Fertigstellung.

Bevor die Arbeit losgehen kann

  • Geplanter Auftrag und/oder Störung wird durch Auftraggeber kommuniziert.
  • Klärung, welcher Stadtteil betroffen ist: Ist die Leckage in einer öffentlichen oder in einer privaten Straße, auf einem Fußweg oder in einer öffentlichen und/oder privaten Grünfläche?
  • Planwerk muss eingeholt werden zur Feststellung, ob und ggf. welche anderen Leitungen, Kabel etc. dort vorhanden sind, weil vorhandenen Dokumentationen keine Garantie auf Vollständigkeit oder wirkliche Verhältnisse beinhalten. Diese Planwerke werden eingeholt von Betreibern wie dem Energieversorger, Telekom, Vodafone, anderen Glasfaser- und/oder Kabelanbietern, Abwasserkanalbetreiber etc.
  • Anschließen kann eine grobe Planung erfolgen, wo man anfängt, die defekte Leitung freizulegen.
  • Jetzt wird mit den zuständigen Ämtern für Naturschutz, Baumschutz etc. zwingend die Maßnahme besprochen, denn sobald eine Baumaßnahme in den Kronenbereich eines auf öffentlichen Grund stehenden Baumes fällt, findet ohne das Okay dieser Behörde(n) keine Baumaßnahme statt. Die zuständigen Behörden müssen auch kontaktiert und einbezogen werden, wenn ein Baum auf Privatgrund steht, die Wurzeln aber in die auf öffentlichen Grund liegenden Leitungen einwirken und es lokale Baumschutzsatzungen gibt.
  • Ist dies abgeklärt, muss eine verkehrsrechtliche Klärung erfolgen wegen der entsprechenden Einschränkungen. Dabei sind die zuständigen Ämter und Behörden sowie die Polizei einzubeziehen und entsprechende Anträge zu stellen. Gibt es Bushaltestellen und/oder Straßenbahnlinien oder ist die geplante Baustelle in einem Hafengebiet, müssen die entsprechenden Betreiber informiert werden und einverstanden sein. Die Zeit von der Beantragung bis zur Genehmigung verlängert sich von ca. drei Wochen leicht auf mehr als acht Wochen.
  • Ist die Genehmigung erteilt, wird das Personal gemäß den benötigten Qualifikationen und des Aufwandes der Maßnahme eingeteilt. Dazu gehören Bagger- und Radladerfahrer, PE-Schweißer, Stahlschweißer, Muffenmonteure und andere Fachkräfte. Alle diese Mitarbeiter benötigen selbstverständlich spezielle Qualifikationen und Zertifikate. Wird zum Beispiel das Vorhandensein von Asbest irgendwo vermutet, ist die Asbestsachkunde nachzuweisen, die Gewerbeaufsicht ist durch eine objektbezogene Anzeige mit Arbeitsablaufplan zu informieren und die Maßnahme wird noch aufwendiger.
  • Alle Qualifikationen, Zertifikate von Schulungen auf Sach- und Fachkunde der Mitarbeiter sind im Büro zu dokumentieren und auf Ablauf bzw. anstehende Wiederholungsprüfungen zu kontrollieren. Insbesondere müssen alle Schweißer regelmäßige Arbeitsproben abliefern, die geröntgt und beurteilt werden.
  • Dann wird Material bestellt. Die Lieferzeiten können stark variieren, im Regal hat kein Lieferant mehr etwas, dafür gibt es einfach zu viele unterschiedliche Systeme und Bauteile.
  • Der Materialeingang muss geprüft und dokumentiert werden, der abladende Mitarbeiter muss natürlich einen gültigen Staplerschein haben.
  • Die Baustelle an sich und die Arbeiten müssen digital eingepflegt werden, damit die Versorger, Entsorger, Behörden, Ämter, die Polizei und andere informiert sind.

Während der Arbeit

  • Jetzt fängt die Baustelle an – mit allen Überraschungen im Untergrund, die im Tiefbau zum Vorschein kommen können: Leitungen, die nicht eingezeichnet sind, Asbestreste oder sonstiger Müll, Baumwurzeln, die keiner dort vermutet hat und so weiter.
  • Im Fall der Fälle gibt es dadurch weiteren Planungs- und/oder Gesprächsbedarf mit dem Auftraggeber sowie diversen Behörden und Ämtern. Gefundener Sondermüll, zum Beispiel Asbest, wird bis zur Klärung des Entsorgungsweges natürlich in separaten, geschlossenen Containern gelagert. Der Entsorgungsweg ist allerdings oft sehr umständlich und zeitaufwendig. Folgende Punkte müssen geklärt werden: Abfallerzeuger, Probenentnahme und Laboranalyse, Bestimmung des Transportes und der letztendlichen Entsorgung. Sollte es Probleme bei der Klärung des Entsorgungsweges geben, stehen Container schon mal mehrere Monate auf abgesperrten Parkplätzen.
  • Wenn der Grundwasserstand in den Arbeitsbereich hineinragt, kommt das nächste Problem: Grundwasser darf nicht so einfach abgepumpt und zum Beispiel in die nächste Regenwasserkanalisation geleitet werden. Diese Sache muss vorher von der Entsorgungsbehörde genehmigt werden. Es müssen geeichte Zähler besorgt und eingebaut, Anträge gestellt werden. Selbstverständlich wird eine Wasserprobe im Labor untersucht, denn wenn das Grundwasser zu sehr kontaminiert ist, zum Beispiel, weil die Baustelle bei einer alten Deponie oder einem Industriegebiet liegt, wird das Wasser separat aufgefangen, in Behältern gesammelt und separat behandelt. Auf jeden Fall darf es nicht im Ursprungszustand wieder dahin entlassen werden, woher es kam.

Nach der Arbeit

  • Angenommen, nach all diesen Organisationstätigkeiten, die der zuständige Bauleiter neben seiner fachlichen und technischen Aufsicht und Leitung zu bewältigen hat, ist tatsächlich die neue Leitung in der Erde: Dann werden die Schweißnähte geröntgt; aber nicht tagsüber, denn in der Gegend sind eventuell Schulen, Kindergärten oder Altenheime. Also wird nachts geröntgt, was zusätzliche organisatorische Probleme mit sich bringt.
  • Druckproben folgen, wie auch die Dokumentation der Leitungstrasse, Isometrien sowie Schleifenpläne für die Leitungsüberwachung durch Fotos, Zeichnungen etc. Nachweise über das eingebaute Material werden dem Auftraggeber vorgelegt, es muss klar sein, aus welcher Quelle der Füllsand und die anderen eingebauten Materialien stammen. Spätestens jetzt kommen wieder Ablageordner dazu.
  • Nach Abnahme der Baustellenabschnitte durch die jeweiligen Behörden und Ämter, die zuständigen staatlichen Stellen für Entsorgung, Natur- und Umweltschutz und eventuell noch zusätzliche länder- oder stadtspezifische Institutionen sowie natürlich durch den Auftraggeber kann dann abgerechnet werden. Die Eingabe der erbrachten Leistungen erfolgt meistens per Internet in gesicherte Abrechnungssysteme, wobei Softwareaktualisierungen und/oder Internetstörungen eine permanente Beschäftigung mit dem Programm voraussetzen. Die Eingaben werden auf Auftraggeberseite durch mehrere Abteilungen geprüft und, wenn akzeptiert und freigegeben, letztendlich bezahlt.